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Disability-Star
Rücksicht auf Behinderte

Behörden in den USA dürfen nur noch behindertengerechte Hard- und Software anschaffen und müssen ihre Websites barrierefrei gestalten. Die US-Vorschrift könnte Behinderten auch hierzulande bald den Umgang mit Computer und Internet erleichtern.

Als vor einigen Jahren die US-Regierung ihre Behörden anwies, nur noch Strom sparende Computer anzuschaffen, dauerte es nicht lange, bis sich die Computerindustrie entsprechend auf ihren größten Kunden einstellte. Das Label EnergyStar prangt seitdem weltweit auf jedem energiemageren PC. Ab 26. Juni dürfen US-Behörden nun nur noch solche Hard und Software anschaffen, mit der auch Schwerbehinderte arbeiten können. Der im Rahmen des AntiDiskriminierungs-Gesetzes verfasste Artikel 508 soll Seh-, Hör- und physisch Behinderten den Zugang zu elektronischen Geräten erleichtern, indem deren Bedienung auch nur mit Hilfe eines Sinnes wie Sehen, Hören oder Fühlen möglich sein soll. Für neu anzuschaffende Hard und Software bedeutet das beispielsweise, dass sie mit den herkömmlichen Hilfsmitteln kompatibel sein muss. Blinde Computernutzer arbeiten mit ScreenReadern, die den Text vom Monitor vorlesen oder auf einer Blindenschriftzeile (Braillezeile) ausgeben [1]. Behinderte mit Problemen bei der Bedienung von Tastatur und Maus interagieren mit dem PC per Spracherkennung.

Artikel 508 regelt aber auch die Anpassung der Millionen von Behörden-Websites und folgt dabei weitestgehend den Vorschlägen der Web Accessibility Initiative (WAI) des World Wide Web Consortium (W3C). So ist zum Beispiel auf Websites zu Bildern, Hyperlinks und Multimedia-Dateien eine Beschreibung des Inhalts in Textform im HTML-Code zu integrieren, damit diese von ScreenReadern gelesen werden und Hörbehinderte den Inhalt von Audiodateien inhaltlich erfassen können. Außerdem müssen Websites auch nur mit Textkommandos, Maus oder Tastatur bedient werden können. Nach einer Studie des Marktforschungsinstituts Forrester Research bietet derzeit jedoch nur jede vierte amerikanische Website ansatzweise solche Erleichterungen.

Weitreichende Wirkung

Obwohl das Gesetz nur die Behörden und deren Vertragspartner betrifft, wird es sich in der gesamten TT-Industrie auswirken, denn die Behörden sind in den USA einer der größten Beschaffer von Hard- und Software und haben 1999 IT-Produkte im Wert von 37,6 Milliarden US-Dollar eingekauft. Viele Hersteller haben schon jetzt verlauten lassen, dass sie keine separate Produktpalette für die Behörden fahren werden.

Bei Microsoft arbeitet eine Gruppe von 40 Leuten daran, die Produkte gesetzeskonform zu gestalten. Die Internet-Softwarefirma Macromedia, die gerade mal sechs Prozent ihres Umsatzes mit US-Behörden macht und Webtools wie Dreamweaver oder Flash entwickelt, glaubt an den schnell wachsenden Trend auch im privaten Sektor: Sie stellte für ihre Programme eine kostenlose Erweiterung zur Verfügung, die es Webdesignern erlaubt, ihre Sites kompatibel zu Artikel 508 zu machen. Allein in der ersten Woche wurde die Dreamweaver-Erweiterung sechstausendmal von der Website heruntergeladen.

`Ich bin mir sicher, dass die Softwarehersteller ohne Artikel 508 nicht verstanden hätten, dass ein barrierefreier Zugang ihre ureigensten Interessen berührt', meint James Gashel von der National Federation of the Blind, denn immer mehr Firmen begreifen, dass sie durch einen barrierefreien Zugang zu ihrer Website zusätzliche Kunden gewinnen können - und das bei nur geringen zusätzlichen Kosten.

Trotzdem werden am 26. Juni nicht über Nacht alle Hard und Softwarehersteller die Bestimmungen erfüllen können, denn die genauen Richtlinien hat die USRegierung erst am 25. April veröffentlicht. Entsprechend herrscht noch Unklarheit, was denn die Einkäufer nun bestellen werden, wenn auf dem Markt noch nichts Konformes zu finden ist. Nach Angaben des US-Justizministeriums müssen auch bereits bestehende Websites nicht komplett auf die neuen Standards umgeschrieben werden - lediglich die meistbesuchten Sites sollten barrierefrei zu erreichen sein.

Für deutsche Behindertenverbände hat die US-Initiative Vorbildcharakter. `Diese Regelung ist scheinbar das einzige Mittel, das wirklich greift', meint Karsten Warnke, Leiter des Gemeinsamen Fachausschusses für Informations- und Telekommunikationssysteme der Blinden und Sehbehindertenselbsthilfeorganisationen Deutschlands. Allerdings, so ist vom Bundesverband Körper- und Mehrfachbehinderter in Düsseldorf zu hören, gibt es einfach zu viele Arten von Behinderungen, als dass eine Hard- und Softwarelösung jedem gerecht würde.

Vorbildcharakter

Im Bundesgleichstellungsgesetz, das nach Willen der Bundesregierung noch diese Legislaturperiode in Kraft treten soll, steht die Barrierefreiheit an oberster Stelle und soll für die Behinderten auch den Zugang zu Informationen gewährleisten. `Für den öffentlich-rechtlichen Bereich ist eine Lösung wie in den USA durchaus denkbar', mutmaßt Gerhard Polzin vom Büro des Behinderten-Beauftragten der Bundesregierung. `In der Wirtschaft und im privaten Sektor dagegen ist derzeit noch nicht absehbar, wie weit da gesetzlich eingegriffen werden kann. Hier wäre eine Verpflichtung auf freiwilliger Basis wahrscheinlich die sinnvollere Lösung'.

Nicht auszuschließen ist aber auch, dass Artikel 508 zu einem neuen Label für behindertengerechte Hard- und Software führt, einem `Disability-Star' ähnlich dem etablierten Energy-Star, das sich mit der Zeit bei den TT-Einkäufern durchsetzen dürfte. Für behindertengerechte Websites gibt es das bereits: der Bobby zeichnet WAI-kompatible Websites aus, und auf Internetseiten mit einer alternativen Textversion prangt das Web Access Symbol. (anm)

Andreas Grote

Veröffentlicht in: c't magazin für computertechnik
Herausgeber: Verlag Heinz Heise GmbH & Co KG, Hannover
Heft 13/2001