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Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder...
oder: es gibt Tage an denen man gar nicht erst aufstehen sollte; falls möglich...

Es war einer der letzten schönen Sommerabende und ich fand es angemessen, mir mit guten Freunden etwa ein Dutzend Fläschleinchen excellenten Frankenweines reinzuziehen, denn das Leben ist viel zu kurz, um sich mit "Bauerntrunk" vollzuschütten. Trotz absoluter Fahruntüchtigkeit hatte ich kein schlechtes Gewissen, denn erstens war es meine eigene Terrasse, und zweitens nahm ich nicht am strafbewährten Öffentlichen Verkehr teil, sondern fuhr schon aus reiner Gewohnheit mit dem Krüppel-Ferrari, wie tagtäglich seit 1985, nachdem mich ein banaler Autounfall in den Rollstuhl befördert hatte.

Also, raus aus den Klamotten, die "Dritten" in die Marinade gelegt, und binnen Minuten war ich im Reich der Träume und aller Sorgen ledig. Dachte ich. Kurz nach Mitternacht Schüttelfrost, rasende Schmerzen im linken Bein und vermeintlich schon am Ufer des Styx. Der rasch herbeigerufene Bereitschaftsarzt war völlig ratlos und vertröstete mich auf meinen Hausarzt, der dann am nächsten Morgen die unumgänglich scheinende Notschlachtung anordnen könne. Zur Bekämpfung der unerträglichen Schmerzen empfahl er mir die Einnahme einer morphiumhaltigen Capros Tablette, die ich für extreme Schmerzzustände bereithalte. Als die Schmerzen trotzdem nicht nachließen, genehmigte ich mir eine zweite Tablette, was angesichts meines derzeitigen Schlachtgewichtes von gut zweieinhalb Zentnern lt. Packungsbeilage durchaus vertretbar ist. (Hätte ich meinen Arzt oder Apotheker gefragt, hätten die wegen des vorangegangen Saufgelages wahrscheinlich abgeraten, aber dann wäre auch der Rest dieser Geschichte nicht geschrieben worden, und die Krüppel-Literatur um eine Story ärmer).

Also, wie ging es weiter? Dank der geballten Ladung von gleich zwei dieser Hämmer lag ich bald wieder in Morpheus' Armen, und träumte von einer besseren Welt ohne Leid, Elend und Politiker. (Davon ein ander Mal...) Ich erwachte nur kurz, als irgendwann zwischen dem Arztbesuch und dem Morgen-Grauen (im Wortsinn!) mein Lotterbett einen fürchterlichen Schlag tat, und ich vor dem Weiterdösen kurz merkte, daß ich irgendwie schief in der Wäsche hing, ohne mir das erklären oder gar für Abhilfe sorgen zu können. Am nächsten Morgen, wieder einigermaßen wach, stellte ich mit Schrecken fest, dass ich an der Bettkante fast zehn Zentimeter tiefer saß als gewohnt, und ich obendrein zu schwach und rammdösig war zum selbstständigen Übersetzen. Aber zu was gibt es die allzeit einsatzbereiten Hilfsdienste? Binnen einer viertel Stunde waren zwei wandelnde Kräne im Haus, die mich - zwar stöhnend aber letztlich erfolgreich - in meinen Rolli hievten.

Eine sofortige Inspektion des elektrisch vestellbaren Bettrahmens ergab, dass der nach mehr als zwölfjährigem klaglosem Dienst die vermeintlich endgültige Grätsche gemacht hatte, nachdem in der Nacht - ratz fatz - in einer Kettenreaktion gleich an mehreren Stellen unentbehrliche Teile abgebrochen waren. Sauber, sauber, aber zwei solche Problemchen wird doch ein leidgeprüfter Krüppel grad noch wegstecken können, oder? Klar doch! Als erstes eigenhändig den Hausarzt angerufen, denn die rechte Hand war zwar ungewohnt spastisch verkrümmt, aber relativ schmerzfrei. Und dann auch noch den Behinderten-Notdienst alarmiert, damit auch das Bett in Ordnung gebracht wird, denn mittlerweile ist es Freitag 9.00 h und spätestens um 13.00 h rührt ein Nichtselbstständiger hierzulande üblicherweise kein Werkzeug mehr an. Zum Glück konnte man einen geschickten Zivi vorbeischicken, der binnen einer Viertelstunde den gesamten Bettrahmen nach dem Vorbild einer Explosionszeichnung in seine Einzelteile zerlegt und die defekten gleich aussortiert hatte.

Kommen Sie mal am Freitag drei Stunden vor Feierabend einem deutschen Handwerksbetrieb mit einem eiligen Reparaturauftrag dann wissen Sie was man unter homerischen Gelächter versteht. Zwar liegt Würzburg auch in Deutschland, aber in Bayern gehen die Uhren zum Glück noch etwas anders. (Oder ich hatte einfach ein Händchen...) Nach Schilderung meiner nachvollziehbaren Notsituation war gleich die erste befragte Großschlosserei bereit, den Rahmen sofort fachgerecht zu reparieren. ... und wenn man bis Mitternacht basteln müsse, so der dortige Technische Leiter.

So schlimm kam es dann doch nicht, denn schon um 13.00 h kam der erlösende Anruf und die Nachricht, dass "mein" Zivi die reparierten Teile abholen könne. Eine sofortige Inaugenscheinnahme ergab nicht nur einwandfreie Arbeit, sondern man hatte gleich den haarsträubenden Konstruktionsfehler behoben, der erst zum Bruch des Rahmens geführt hatte. Ein Lob dem deutschen Handwerk und ein Gegenbeweis gegen die modische Behauptung, man täte nichts für Behinderte.

Ach ja, Onkel Doktor hatte mittlerweile festgestellt, dass in meinem Bein ein Erysipel tobte, eine nicht ganz ungefährliche Streptokokkeninfektion, die sich offenbar durch einen therapieresistenten Ulcus cruris Eingang in mein Innenleben verschafft hatte. Dort wütete nun die flapsig "Schweine-Rotlauf" genannte Infektion und hämmerte in dem elephantös und feuerrot angeschwollenen Bein so, als wollten Myriaden von Bakterien gleichzeitig einen Ausbruchsversuch wagen. Noch immer groggy von den geschilderten Hergängen, sank ich schon zu früher Stunde in mein repariertes Bett und schlief auch sofort ein. Ich schreckte erst spät am Abend durch einen Telefonanruf auf, weil ich den Anrufbeantworter einzuschalten und dazu mein drahtloses Telefon am Schreibtisch vergessen hatte. Lass läuten, dachte ich mir; wenn's wichtig war, ruft der bestimmt am Morgen wieder an. Erst da merkte ich, dass das Deckenlicht noch brannte, und die Fernbedienung offenbar neben dem Telefon auf dem Schreibtisch lag. Normalerweise kein Problem, denn meine angeheiratete Sklavin hilft mir rund um die Uhr aus der Patsche. Heute war aber Sense, denn sie war als Babysitterin bei meinem Lieblingsenkel über Nacht aushäusig. Zum nochmaligen Aufstehen war ich einfach zu schlapp und ohne das griffbereite Notruftelefon angesichts meines Zustandes auch zu feige. Da blieb nur noch das Hoffen auf einen Stromausfall, der aber bei uns sehr selten ist, oder das Durchleiden einer weiteren schlimmen Nacht.

Es gibt halt Tage, da sollte man lieber gleich im Bett bleiben! Wenn's nicht gerade zusammenkracht...

Der querschnittgelähmte Würzburger Diplomkaufmann Kurt R. B. Wanke, 6o, befasst sich seit seinem Arbeitsunfall im Jahre 1985 intensiv mit dem Lebensumfeld Behinderter und Betagter. Der breiteren Öffentlichkeit wurde er bekannt durch artosy, das zusammen mit seinem Sohn Florian entwickelte all round toiletten system und seine Delta-Zargen für das barrierefreie Bauen. Er ist auch journalistisch tätig, und nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Tel. + Fax (0931)2745-50

Kurt R. B. Wanke

Veröffentlicht in
muskel report:
Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V.
Heft 4/00